„REPRINT“ von 2020: Atomkonsens – wer geht mit wem zusammen?

METAINFO: Vor ca. 20 Jahren habe ich wohl mal meine Disketten auf Festplatte geworfen, um die Daten vor der Verrottung zu sichern. Dabei ein interessanter Artikel, den ich auf der damaligen Version der Website Energieinfo hatte. Er behandelt die Geschichten mit Atomausstieg, Erneuerbaren und der Untätigkeit der Regierung, besser Regierungen!

Michael Bockhorst, 16.06.2000

Wenn von einem Konsens gesprochen wird, muss immer dazugesagt werden, welche Parteien im Konsens gehandelt haben. Im konkreten Fall der Atomkonsens-Gespräche sind die Parteien die aktuelle Bundesregierung und die Kernkraftwerksbetreiber.


Zwischen wem sollte der Konsens wirklich gemacht werden? Im Grunde genommen müsste der Konsens zwischen dem Menschen und unserem Lebensraum Erde gemacht werden.
Wer gewinnt bei dem aktuellen Konsens? Wie könnte ein langfristig tragfähiger Konsens aussehen?

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Der Konsens zwischen Wirtschaft und Regierung

Geht man von einer mittleren Gesamtlaufzeit von 32 Jahren für unsere derzeitigen Kernkraftwerke aus, kann die zukünftige Stromerzeugung in Deutschland – unter der Prämisse, dass der bisherige Kraftwerkspark beibehalten wird – leicht veranschaulicht werden:

Dabei ist eine Verfügbarkeit der einzelnen Kernkraftwerke von 85 % der Zeit vorausgesetzt worden, die durchschnittliche Leistung des deutschen Kraftwerksparks ist auf der Basis des Stromverbrauchs des Jahres 1998 für Deutschland angesetzt – dieser betrug 552 TWh, entsprechend einer Dauerleistung des deutschen Kraftwerksparks von 63 GW..

In 20 Jahren, wenn das letzte Kernkraftwerk vom Netz genommen wird, ist dann ein Defizit in der Stromerzeugung von etwa 30 Prozent zu erkennen, für den Anteil der Windenergie ist die sinnvolle Annahme gemacht, dass er dann um etwa 5 % gestiegen sein wird. Vermutlich wird der Strombedarf durch neue Technologien wie Informations- und Kommunikationstechnig sowie weitere Automatisierungen in Industrie und Haushalt im günstigsten Fall gleich bleiben. Nun kann man sich drei Szenarien überlegen, wie die verbleibenden 25 % des Strombedarfs gedeckt werden können:

  • Gleicher Mix zwischen den Kernkraftwerken wie bisher, allerdings bei einer um 10 Prozent erhöhten Kraftwerks-Effizienz: Eine Erhöhung der nationalen Kohlendioxid-Emissionen um 13 %.
  • Je zur Hälfte wird der Kraftwerkspark durch modernste Kohlekraftwerke und modernste %html GUD-Kraftwerke aufgestockt (45 % bzw. 53 % Netto-Wirkungsgrad): Ein Zuwachs der Kohlendioxid-Emissionen um 7.5 %.
  • Vollständiger Ersatz der benötigten Kraftwerks-Kapazitäten durch moderne GUD-Kraftwerke: Ein Zuwachs der Kohlendioxid-Emissionen um 5 %.

Dabei sollte das Ziel moderner Umwelt- und Energiepolitik die Senkung der Kohlendioxid-Emissionen sein, um potentielle und bestätigte Folgen der globalen Erwärmung durch den Treibhauseffekt zu minimieren oder besser sogar zu vermeiden.

Dieses sind die mittelfristigen Auswirkungen des Atomkonsens, was sind hingegen die kurzfristigen Folgen, wen betreffen sie?

Die Betreiber der Kernkraftwerke vermeiden Verluste, die bei einem schnelleren Ausstieg entstehen würden, die Kraftwerke werden bis zum Ende ihrer typischen Laufzeit betrieben – nur durch zusätzliche Investitionen könnten die Kraftwerke für eine wesentliche längere Betriebszeit umgerüstet werden.
Und an den Neubau von Kernkraftwerken denken die Betreiber offensichtlich seit über 10 Jahren nicht mehr, ein Neubau wäre nicht durchsetzbar gewesen.

Für die Regierung besteht in dem Einstieg in den Atomausstieg wenigstens die Möglichkeit, einen Punkt des Regierungsprogrammes und des Koalitionsvertrages abzuhaken.

Die wahren Gewinner des ausstehenden Atomkonsenses sind wahrscheinlich die Erzeuger des in Zukunft zu importierenden Stroms, die Importeure und die Hersteller und Betreiber fossil befeuerter Kraftwerke! Bei Import-Strom ist noch nicht einmal klar, wie sicher oder wie sauber dieser Strom erzeugt wurde – man denke nur daran, dass in der Ukraine jedes Jahr mehrere hundert Bergarbeiter in den Kohlebergwerken ihr Leben lassen, dabei sind die Folgen der Verbrennung der Kohle noch nicht mit einbezogen, ganz zu schweigen von der Versorgungssicherheit mit Energie!

Ein möglicher Konsens zwischen Mensch und Lebensraum

Wie könnte hingegen ein Konsens zwischen Mensch und Welt aussehen? Dazu muss man schauen, welche Ziele Energiepolitik verfolgen sollte: Die Versorgungssicherheit in der gewünschten Menge steht im Konflikt mit den Risiken und Nebenwirkungen der Bereitstellung der Energie. Risiken sind bei der Kernenergienutzung die Freisetzung großer Mengen radioaktiver Stoffe nach einem Reaktorunfall, bei der Nutzung fossiler Energieträger ist es die unter Umständen drastische Veränderung des globalen Klimageschehens durch die Auswirkungen des Treibhauseffektes. Nebenwirkungen können bei der Kernenergienutzung durch die Freisetzung radiollaktiver Stoffe aus Endlagern entstehen, bei der Verbrennung fossiler Energieträger ist es die Erwärmung der Erdatmosphäre durch den Treibhauseffekt.
Nun muss man die Gefahren der mit hohem Risiko eintretenden Klima-Katastrophe gegen die Risiken der Kernenergienutzung abwägen, eine weitere kurzfristige Alternative in Form erneuerbarer Energien existiert, zumindest in dem vergleichsweise sonnenarmen Deutschland, nicht.

Da derzeit in Deutschland weder intensive und groß angelegte Forschung für die Erschließung neuer, umweltfreundlicher Energiequellen getätigt wird, noch Förderprogramme für die weitere Einführung der Solarthermie, der Wärmegewinnung durch Solarkollektoren, stattfinden, ist offensichtlich der Weg in eine Energieerzeugung mit höheren Kohlendioxid-Emission geebnet. Mit einer Förderung der Solarthermie zur Gewinnung von Heizwärme und Warmwasser könnte wenigstens ein Teil der zu erwartenden zusätzlichen Kohlendioxid-Emissionen aufgefangen werden.
Ein Erreichen der Ziele aus den Klimaschutz-Konferenzen und den Enquete-Kommissionen des deutschen Bundestages – eine Reduktion des Kohlendioxid-Ausstoßes um 18 % bis zum Jahre 2010, eine Reduktion um 80 %, also auf 20 % bis zum Jahre 2050 – scheinen damit in unerreichbare Ferne gerückt.

Ein möglicher Weg aus der Misere

Der einzige Ausweg besteht in einer nüchternen Diskussion um die Sache: Wie schaffen wir Menschen es, in dieser Welt möglichst angenehm zu leben, also auch unseren Komfort wenigstens weitgehend beizubehalten, ohne dass wir unsere Lebensgrundlagen zerstören?

Einer nüchternen Diskussion könnte eine Kombination aus

  • hohen Energiesteuern, die durch Entfernungspauschalen und Lohnsteuersenkungen – unter Berücksichtigung eines sparsamen Umgangs mit Energie – ausgeglichen werden,
  • Bindung der Einnahmen durch Energiesteuern an Ausgaben für die Milderung von Auswirkungen des derzeitigen Umgangs mit Energie, Förderung von Forschung und Entwicklung belastungsarmer Energieerzeugung sowie Bildung und Ausbildung im Bereich der Energienutzung,
  • einer auf 50 Jahre befristeten Weiterführung der Kernenergienutzung in mindestens dem heutigen Umfang
    und
  • einer Reduzierung der Verbrennung fossiler Energieträger während dieses Zeitraums, sobald der Energiebedarf gesenkt oder neue Energiequellen, insbesondere regenerative Energien, stärker beitragen,
  • einer Förderung von Vorhaben zur Senkung des Energiebedarfs, ob durch Effizienzsteigerung bei Erzeugung und Nutzung oder aber durch einen Verzicht auf Energiedienstleistungen.

durchaus standhalten.

Moderne Hochtemperaturreaktoren können so konstruiert werden, dass selbst im ungünstigsten Fall keine radioaktiven Stoffe in nennenswertem Umfang freigesetzt werden können. Die Endlagerung muss allerdings auch bei diesen Reaktoren gewährleistet sein.
Moderne GUD-Kraftwerke erlauben Wirkungsgrade bis über 50 %, Erdgas ist zudem ein Energieträger, der bei seiner Verbrennung vergleichsweise wenig Kohlendioxid – bezogen auf die verfügbar gemachte Energiemenge – freigibt. Allerdings reichen die Ergasreserven nach heutiger Kenntnis und vor dem Hintergrund des dann steigenden Bedarfs nur für wenige Jahrzehnte und treten in Konkurrenz zu dem Erdgasbedarf für umweltfreundliche Hausheizungen.
Erneuerbare Energien wie Windkraft und Photovoltaik sind nur zeitweise verfügbar, und der so produzierte Strom kann mit heutigen Technologien nicht wirtschaftlich (und auch nicht ökologisch sinnvoll) gespeichert werden. Solarthermische Kraftwerke , in denen Wasserdampf bei hoher Temperatur und unter hohem Druck erzeugt wird, der über eine Dampfturbine einen Generatur antreibt, können im Gegensatz dazu 24 Stunden am Tag Strom erzeugen: Ein Wärmespeicher überbrückt die Nacht und sorgt für die zur Dampferzeugung notwendige Hitze. Um solche Kraftwerke zu realisieren, müsste die entsprechende Technologie den sonnenreichen Ländern verfügbar gemacht werden, etwa in einem Austausch „Technologie gegen Megawatt“.

Diese Spotlichter auf den Problemkomplex dürften ausreichen, um zu zeigen, dass ideologische Konzepte hier noch nicht einmal zu Lösungsansätzen führen dürften – hier müssen Sachverstand und gesunder Menschenverstand, Lehren und Lernen, Bewusstsein und Handeln am gleichen Strang ziehen. Jeder Schritt in die falsche Richtung muss korrigiert werden, wie ein Wanderer, der die falsche Weggabelung geht, müssten wir diesen Weg zurückgehen. Wir können nur hoffen, daß wir genug Wasser dabei haben, um zur Weggabelung zurückzukommen und dann den richtigen Weg zu gehen.